„Bedrohte Arten finden wegen der Tongewinnung neue Lebensräume“
Die Artenvielfalt von Pflanzen und Tieren, die sogenannte Biodiversität, ist ein wichtiges Naturgut. Wie sie sich in Tongewinnungsstätten erhalten und schützen lässt – und welche Rolle eine Biodiversitätsindikatorenstudie dabei spielt, erläutert Dr. Werner Dieter Spang, Diplom-Geograph und Beratender Ingenieur bei Spang. Fischer. Natzschka. GmbH, einem Beratungsunternehmen für Umwelt- und Raumplanung sowie Landschaftsarchitektur.
Was ist das Ziel der Biodiversitätsindikatorenstudie, die Sie für die Deutsche Poroton erstellt haben?
Der Ausgangspunkt unserer Studie war eine Frage der Deutschen Poroton: Wie lässt sich die biologische Vielfalt in den Tongewinnungsstätten ihrer Mitgliedsunternehmen beschreiben und bewerten? Hinter dieser einfachen Frage verbirgt sich ein ganzer Fragenkomplex. Wie kann ein so vielschichtiges Phänomen wie biologische Vielfalt möglichst kompakt in Zahlen gefasst werden? Mit welcher Methodik lassen sich die Biodiversität einer Fläche, geeignete Maßnahmen zum Erhalt der Artenvielfalt und der Erfolg dokumentieren und bewerten?
Biodiversitätsindikatoren sind dafür ein sehr gutes und bereits seit Jahrzehnten bewährtes Mittel. So nutzt die Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt Biodiversitätsindikatoren, um die biologische Situation in ganz Deutschland abzubilden. Für die Anwendung auf Tonabbaustätten sind sie allerdings zu grobmaschig. Innerhalb der Steine-Erden-Industrie gab es lediglich spezialisierte Indikatoren für Kalksteinbrüche. Die lassen sich jedoch nicht auf die Tongewinnung anwenden.
Deshalb bestand unsere Aufgabe darin, Indikatoren für die Beschreibung der Biodiversität in Tongruben zu entwickeln. Dafür haben wir zuerst die vorhandene Literatur zu Biodiversitätsindikatoren sowie zu Tieren und Pflanzen in Tongewinnungsstätten ausgewertet und die Biodiversitätsindikatoren entwickelt. Im zweiten Schritt haben wir diese einem Praxistest an fünf Abbaustätten mit Poroton-Mitgliedern unterzogen. Im Ergebnis entstand ein Katalog von 22 Biodiversitätsindikatoren.
Grundlage der Ermittlung dieser rechnerischen Kenngrößen sind Daten zum Vorkommen von Pflanzen Tieren in den sogenannten Bezugsräumen. Insofern gehören zu unserer Arbeit drei Dinge: die Formeln zur Berechnung der Biodiversitätsindikatoren, die zu betrachtenden Tiergruppen und die räumlichen Bezugseinheiten.
Welchen Beitrag leisten Biodiversitätsindikatoren?
Sie sind Kenngrößen, die es erlauben, normierte Aussagen über den Zustand der Artenvielfalt auf einer bestimmten Fläche zu treffen. Weil diese Größen nach denselben Verfahren und unter gleichen Voraussetzungen ermittelt werden, sind sie vergleichbar. Die zu Grunde liegenden Werte kommen aus Beobachtungen und Zählungen im Gelände.
Einige geben Auskunft darüber, wie viele verschiedene Arten von Pflanzen und Tieren pro Hektar gefunden wurden. Andere Indikatoren beinhalten Vergleiche über Raum und Zeit. Für unseren Forschungsgegenstand haben wir drei verschiedene Bezugsräume definiert: die aktive Gewinnungsstätte; sogenannte Folgenutzungsflächen, das heißt ehemalige Teile der Tongrube, die jetzt rekultiviert oder renaturiert sind sowie die geplante Erweiterungsfläche für die zukünftige Gewinnung. Zudem wurden Indikatoren entwickelt, die anzeigen, wie sich die Häufigkeit von Pflanzen- und Tierarten ändert, wenn auf einer Erweiterungsfläche mit der Tongewinnung begonnen wird.
Die Zahlenwerte können auch zur Erfolgsdokumentation im Rahmen eines Lebensraummanagements Verwendung finden. Darauf aufbauend lässt sich das Funktionieren von Schutzmaßnahmen überprüfen und nachjustieren.
Wie werden solche Indikatoren ermittelt?
Alle Werte werden vor Ort mittels Kartierung und Zählung ermittelt. Dafür werden die zu untersuchenden Arten festgelegt und die Flächen den ihrer Nutzung entsprechenden Bezugsräumen zugeordnet. Danach gehen die Fachwissenschaftler raus in die Flächen und sammeln die Daten. Das ist ein recht aufwendiges Verfahren über längere Zeiträume und zu mehreren Zeitpunkten.
Je nach Art wenden die Experten besondere Methoden an. Botaniker müssen, weil Pflanzen verschiedene Wachstums- und Blütezeiten haben, zu verschiedenen Zeitpunkten im Jahr ausrücken, um alle vorkommenden Pflanzenarten zu erfassen. Ornithologen wiederum dokumentieren Vögel anhand ihrer arttypischen Gesänge und durch Beobachtung ihres Verhaltens, Durchschnittlich braucht es sechs Untersuchungstermine für eine vollständige Brutrevierkartierung. Auch Herpetologen, die sich um Amphibien kümmern, folgen oft ihrem Gehör. Aufgrund ihrer Größe und ihres Verhaltens sind diese Tiere, etwa die Kreuzkröte, am besten akustisch wahrnehmbar.
Warum hat die Deutsche Poroton die Studie beauftragt?
Die Deutsche Poroton möchte den Naturschutzwert der Tongewinnungsstätten ihrer Mitglieder kennen und fördern. Deshalb wollte der Verband herausfinden, wie sich die Rohstoffgewinnung mit einem möglichst optimalen Management der Lebensräume und Biodiversität vereinbaren lässt. Dafür braucht es Klarheit darüber, was dort wächst und lebt. Denn nur was ich kenne, kann ich auch schützen.
Unsere Studie hat für die Deutsche Poroton zwei Ergebnisse erbracht. Die Indikatoren stellen ein zuverlässiges Instrument dar, um die Biodiversität in Tongewinnungsstätten zu erfassen. Außerdem können wir aufgrund des Praxistests an fünf Standorten sagen, dass Tonabbausstätten naturschutzfachlich wertvoll und relevant sind. Bedrohte Arten wie die Uferschwalbe und die Wechselkröte finden dort geeignete Lebensräume nicht trotz, sondern wegen der Tongewinnung. Lebensräume, die sie in unseren modernen Kulturlandschaften sonst vergeblich suchen.
Sollten andere Ziegelhersteller dem Beispiel der Deutschen Poroton und ihrer Mitglieder folgen?
Die Indikatoren, die wir entwickelt haben, wären auch für alle anderen Betreiber von Tongewinnungsstätten anwendbar. Jeder zusätzliche Datensatz hilft dabei, unser Wissen um die biologische Vielfalt zu erweitern und die Schutzmaßnahmen zu verbessern.
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Bildunterschrift 1:
Dr. Albert Ulbig, Alfred Emhee, Luisa Ratzke (alle Schlagmann Poroton), Dr. Werner Dieter Spang und Clemens Kuhlemann bei der Begehung am Standort Zeilarn im Frühjahr 2020.
Foto: Schlagmann Poroton / Simon Stöger